Hinter den Kulissen – Sabine über das Inklupreneur Coaching

In unserer Serie “Hinter den Kulissen“ geben Menschen, die bei dem Inklupreneur Projekt beteiligt sind, ihren ganz individuellen Einblick. Du willst auch deine Perspektive schildern? Dann melde dich bei Marlene: marlene[at]inklupreneur.de

Heute berichtet unsere Mentorin Sabine.

2011 -Rückblende-

Vor ziemlich genau 10 Jahren: Ich sitze im Büro des Integrationsbioladens, indem ich als Projektleiterin neben den administrativen und kaufmännischen Aufgaben vor allem in der Ausbildung von schwerbehinderten psychisch kranken Menschen tätig war. Und ich war frustriert, weil es immer wieder zu Konflikten zwischen Vereinsvorstand, Behörden und den Erfordernissen der Organisation der alltäglich konkreten Arbeit vor Ort kam. Gleichzeitig erhielt ich fast täglich Besuch von vielen jungen Menschen, die Produkte ihrer Startups bei uns vorstellten und vertreiben wollten.

Es trafen verkrustete, oft realitätsferne und wenig bewegliche Strukturen eines alteingesessenen Wohlfahrtsverbandes auf Enthusiastische, hoch motivierte, freundlich zugewandte Vertreter*innen der Berliner Food Startup Szene.

Wäre es nicht großartig mit diesen, für mich ehrlicheren und besser zum Handel passenden Startup Unternehmen, Arbeitsplätze für psychisch beeinträchtigte Menschen zu schaffen? Diese Gedanken ließ mich nicht mehr los. Aber meine Kraft reichte nicht mehr und meine neuen Krankheitsepisoden zwangen mich, mich erstmal um mich zu kümmern.

2019 -Seitenwechsel-

Meine Retraumatisierung durch einen gewalttätigen Übergriff auf der Arbeit haben dazu geführt, dass meine bis dahin vorhandene psychische Störungen nochmal eine ganz neue Vehemenz entwickelt haben. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte ich meine depressiven Episoden und meine Angststörung noch so gut ausgleichen und kaschieren, dass ich Job mäßig wunderbar und erfolgreich funktionieren konnte. Das war nun vorbei, Klinikaufenthalte, Medikamente und massive Einschränkungen im Alltag, die mich eindeutig auf die andere Seite katapultiert haben.

Ich betreue nicht mehr psychische behinderte Menschen- sondern ich bin selbst eine psychisch behinderte Frau geworden (unsichtbar und versteckt bin ich das wohl schon mein ganzes Leben gewesen). Jetzt wollte ich nicht nur gute Arbeitsplätze für „andere“ psychisch Behinderte schaffen, sondern stand auch vor der Frage: Und was kann und will ich noch arbeiten?

Und dann…

2021 -Die Idee Inklupreneur

Als ich das erste Mal vom Inklusionsprojekt der Hilfswerft gelesen habe, war das so, wie wenn Du in einem Buch, das liest, was du selber denkst und fühlst, aber bisher nicht ausdrücken konntest.

Inklupreneur möchte Startups und Grownups dabei unterstützen Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung zu schaffen. Und für diese Aufgabe wurden Mentor*innen gesucht. Seitdem ich dies las, habe ich rote Ohren, spüre Lebendigkeit und bin dankbar, dass mein Herzensprojekt umgesetzt wird. Es war am Anfang unklar, ob ich schnell genug psychisch stabil werden würde um als Mentorin mitarbeiten zu können. Aber ich hatte ein Ziel – und heute weiß ich, dass die Zusage mitarbeiten zu dürfen ein wichtiger Meilenstein in meinem Genesungsprozess war.

Als besonders und einmalig bei den Inklupreneuren erlebe ich die Art und Weise, wie die Schaffung der Arbeitsplätze beschrieben und angestrebt wird.

„Wir wollen gemeinsam für eine neue, offene Arbeitskultur einstehen. Inklusion nicht nur belobigen, sondern wirklich verstehen und umsetzten. Wir wollen Perspektivwechsel schaffen, um uns gegenseitig bereichern zu können“

Es geht nicht darum, als gesunde, auf die bekannte Art funktionierende Menschen, etwas für behinderte Menschen zu tun damit es ihnen besser geht. Sondern es geht vielmehr darum, dass ein Bewusstsein vorhanden ist, das wir alle (unsere Kolleg*innen, Unternehmer*innen, letztendlich die Gesellschaft) von der Zusammenarbeit mit „anders funktionierenden Menschen“ lernen und profitieren.

„Wir wollen Hemmungen abbauen und neue Türen öffnen“

Aber wie sieht das konkret aus…??

2021 -Die praktische Arbeit als Mentorin

Wie verhalte ich mich (vielleicht ohne vorherige Berührungspunkte) in einem Bewerbungsgespräch mit einem behinderten Menschen? Was kann/darf ich fragen? Wie strahlen wir aus, dass wir offenen für seine/ihre Bedürfnisse sind? Wie können wir aber auch unsere Ansprüche und unsere Befürchtungen äußern?

Um sich all diesen Fragen zu nähern hat die Hilfswerft unterschiedliche Arbeitsformen entwickelt.

Bei einem Community Meeting, verschiedenen Bewerbungssimulationen, einer Visibility Session und einem Austauschtreffen zu inhaltlichen Fragestellungen, konnte ich meine persönlichen Erfahrungen als psychisch behinderte Frau auf Jobsuche und meine berufliche Expertise einbringen.

Das Community Meeting

Das Community Meeting findet in regelmäßigen Abständen statt. Hier treffen sich die Pledger*innen (die Unternehmen), das Hilfswerft Team, Expert*innen von außen und wir Mentor*innen. Es handelt sich sozusagen um eine „Auftaktveranstaltung“ der verschiedenen Themen, mit Überblick und ersten Impulsen. Im Community Meeting zum Thema Bewerbungen bildeten neben mir zwei weitere Mentor*innen das Expert*innen Team. Inhaltlich ging es um Fragestellungen wie z.B. „Wie gehe ich in Bewerbungsgesprächen mit meiner Behinderung um“ oder “was möchte ich unbedingt im Bewerbungsgespräch thematisiert haben und was sollte auf gar keinen Fall stattfinden”.

Die Atmosphäre des Meetings habe ich als sehr konzentriert, offen und wertschätzend erlebt. Das in der Fragerunde, die Beteiligung der Unternehmen eher verhalten war, war für mich ein Zeichen von Berührungsängsten. Irgendwie lag für mich in der Luft „nichts falsch machen zu wollen“. Obwohl unsere Behinderungen sehr unterschiedlich waren, gab es für mich zwei verbindende Faktoren, welche wir Mentor*innen uns in Vorstellungsgesprächen wünschen. Diese sind:

  • Wertschätzung, vermittelt durch barrierefreien Zugang zu Raum und Präsenz
  • Ehrlichkeit, Klarheit und Authentizität in der Kommunikation

Visibility der Unternehmen

In den weiteren Formaten, wie der Visibility Session und der Bewerbersimulation durfte ich Unternehmen wie Talents4good, Kiezbett, Junge Tüftler*innen und Karmakollektiv durch meine Impulse als Mentorin auf ihrem Weg inklusiver zu werden unterstützen.

Für die Visibility Session habe ich mir die Social Media Darstellung des Unternehmens angeschaut. Was erzählt mir die Homepage über die bisherige Inklusionsbemühungen und -erfolge des Unternehmens? Fühle ich mich angesprochen? Was zeigt mir, dass es sich nicht um Floskeln, sondern praktischen Umsetzungswillen handelt. Wird auf der Homepage gezeigt, ob es sich um ein diverses Team handelt? Gibt es Hinweise darüber, wie generell mit besonderen Anforderungen der Mitarbeiter*innen umgegangen wird? Wird eine Ansprechpartner*in genannt? Bei meiner Bewertung der Außendarstellung ist mir aufgefallen, wie wichtig es ist, wie sich das Unternehmen insgesamt präsentiert. Passen die Aussagen und Informationen zum Gesamtbild? Nicht nur ein Augenmerk auf behinderte Menschen, sondern auch auf Diversität an sich. (PoC, LGBTQI, Schicht, Alter, Aussehen)

Ich kann meine Strichliste an Fakten, die ich brauche und mir wünsche abhaken und vieles erfüllt das Unternehmen nicht und trotzdem spüre ich ein ehrliches Interesse und einen „Unternehmergeist“, der mir zeigt, hier bin ich als Mensch gut aufgehoben und das bedeutet auch fast immer mit meinen Beeinträchtigungen.

Die Bewerbungsgesprächssimulation

Ähnliches gilt auch für die Bewerbungsgesprächssimulation.

In den Bewerbungssimulationen ist mir aufgefallen, dass doch viele Menschen Hemmungen im Umgang mit psychisch kranken Menschen (mit anderen Behinderungsformen sicher auch) haben. Ich merke dann immer das ich in einer Bubble lebe, in der es Mainstream ist anders, queer, schwarz oder behindert zu sein. Im ersten Moment bin ich irritiert, wenn ich Berührungsängste spüre, dann merke ich aber das ehrliche Interesse der Unternehmer*innen zu lernen und sich auf andere Lebens -und Erfahrungswelten einzulassen.

In allen Simulationen stellten mir die Unternehmer*innen die Frage, was ich in meinem zukünftigen Job bei ihnen brauche und wie sie mir einen Einstieg erleichtern könnten?  In der Realität ist mir diese Frage leider nie begegnet. In diesen neuen „jungen“ Unternehmen, die bei Inklupreneur gepledgt haben passiert wirklich auch ein Kulturwandel der Arbeit und des miteinander Umgehens. Das war eine Erkenntnis meiner Mentoren Arbeit, die mir sehr viel Zuversicht gegeben hat.

Die Rückmeldung der Unternehmer spiegelte mir, dass die Bewerbungsgesprächssimulation ihnen viele wichtige Aspekte geliefert haben und dass sie dankbar über meinen Input waren.

Das Format der Simulation ist sehr gut geeignet Unternehmen auf die Inklusion schwerbehinderter Menschen vorzubereiten. Auf beiden Seiten entwickelte sich aus anfänglicher Anspannung eine gelöste, authentische und wertschätzende Atmosphäre.

Offen geblieben sind in den meisten Simulationen ein klares Ansprechen von Bedenken und Skepsis darüber das es vielleicht doch einige Anforderungen gibt, die ich mit meinen Beeinträchtigungen nicht erfüllen kann.

Vielleicht könnte man perspektivisch eine zweite Simulation eines Bewerbungsgespräches durchführen, indem die Erfahrungen aus dem ersten Durchlauf mit einfließen und indem das dann aufgebaute Vertrauen dafür sorgt, nun auch die unangenehmen Aspekte zu thematisieren.

Mein Fazit

Zusammenfassend und als Fazit möchte ich mitteilen, dass ich die klare Struktur der Formate: Community Meeting, Visibility Session und Bewerbungsgesprächssimulation als Strukturkette sehr geeignet für den Umsetzungsprozess in der Praxis sehe.

Die gute Mischung aus Information, Erfahrungswissen und persönlicher Begegnung sind sicher hilfreich für die Unternehmen. Als Mentorin mit meiner Behinderung habe ich mich durch die Struktur, das Aufgefangen und begleitetet werden von den Hilfswerftkolleg*innen und dem aufrichtigen Veränderungswillen der Unternehmer*innen sehr unterstützt gefühlt.

Denke nach bevor du sprichst

Und zu guter Letzt: In Erinnerung an Thich Nhat Than (+22.01.2022)

„Beim Sprechen kann uns das Akronym “THINK before you speak” unterstützen:

Is it:

T = True (Wahr)

H = Helpful (Hilfreich)

I = Inspiring (Inspirierend)

N = Necessary (Notwendig)

K = Kind (Freundlich)

Falls du auch deine Erfahrungen im Inklupreneur Projekt auf unserem Blog schildern möchtest, melde dich gerne direkt bei Marlene!

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Marlene Fragge

marlene [at] inklupreneur.de